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Wednesday
May132020

Was kommt nach dem Punkt?

2020/05/13

Es gibt Romane, die enden mit einem grossen Finale, mit Pauken und Trompeten und Freudentränen bei mir als Leserin. Dann gibt es Romane, die enden in einem Debakel, alles geht bergab und ich weine aus Mitleid mit den Hauptfiguren. Und dann gibt es noch die Romane, bei denen das Ende in der Luft hängen bleibt.

Ein offener Schluss endet mit einem Satz, der kein Schlusssatz ist. Die halbleere Seite nach dem letzten Punkt, die ist für mich wie eine Einladung, die Geschichte noch anständig fertigzuschreiben.
Etwa so kommt es mir mit meiner Spitzensportkarriere vor. Vor einer Woche hat der Internationale OL-Verband bekannt gegeben, dass dieses Jahr keine OL-WM stattfinden wird. Das grosse Finale, das ich mir vorgestellt habe, ging auf einen Schlag bachab und ich merkte, dass an meinem Spitzensport-Roman, eben nicht nur ich allein schreibe… Knallhart wurde mitten ins letzte Kapitel der letzte Punkt gesetzt. Man ahnt es schon, das habe ich mit reichlich Tränen begossen: aus Wut, aus einem Gefühl von Ohnmacht, aus Angst, was mit mir wird, wenn ich nicht mehr OL-Profi bin und aus ganz profanem Selbstmitleid. Ich weiss, das tönt pathetisch, so war es auch. Bereits seit Langem wusste ich ja, dass dies meine letzte Saison im internationalen OL sein wird und ich habe mich auch gut auf das Leben danach vorbereitet. Die OL-Bühne ohne einen letzten Auftritt zu verlassen, tat dem selbstdarstellerisch veranlagten Teil in mir dann aber doch weh. Und die gute Form, die hätte ich schon gerne an einem internationalen Wettkampf in die Waagschale geworfen. Der ehrgeizige Teil in mir jammerte deswegen über Herzschmerz.
Gut, verfüge ich auch über einen praktisch veranlagten Teil, der vom Optimismus meines Umfelds ergänzt wird. Darum nehme ich jetzt den Kugelschreiber in die Hand und schreibe einfach selber weiter. Schliesslich ist ein Sommer ohne internationale Wettkämpfe noch lange kein verlorener Sommer, sondern die Gelegenheit, das zu machen, was ich am liebsten mache: laufen! Ich gönne mir nun mehr Freiheiten im täglichen Training und geniesse das schöne Wetter öfters bei einer Wanderung oder einem langen Traillauf. Das macht Spass! Darum freue ich mich auf die nächsten Wochen und Monate und bin überzeugt, dass ich bis Ende Sommer einen stimmigen Abschluss für meine Spitzensportkarriere gefunden habe.

Das Beste ist, was ins goldene Fotoalbum mit den schönsten Erinnerungen an die Spitzensportzeit kommt, das bestimme ich allein! Nein, darauf kann die Corona-Pandemie mit all ihren Auswirkungen keinen Einfluss nehmen.
Der 13. Mai, also heute vor zwei Jahren, kriegt sicher einen Platz darin:

https://www.youtube.com/watch?v=OmLs47pNuLo


Bild: Remy Steinegger für EOC 2018

Immer mehr meldet sich nun auch der Teil in mir, der das grössere Bild sieht. Es ist natürlich total gerechtfertigt, die OL-WM vor dem Hintergrund der jetzigen Einschränkungen und den vagen Aussichten für die Zukunft abzusagen. Eigentlich verstand ich den Entscheid der Veranstalter und des IOF von Anfang an. Langsam wird mir aber bewusst, wie gross die langfristigen Folgen der Corona-Pandemie auf den Spitzensport sein könnten. Ich hoffe sehr, dass die Förderstrukturen des OL-Sports in der Schweiz unbeschadet durch diese Krise kommen und es noch vielen weiteren Athletinnen und Athleten ermöglicht werden kann, eine Spitzensportkarriere einzuschlagen. Es ist ein Privileg, das ich sehr geschätzt habe!

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