Diagnose: beidseitiger Wangenmuskelkater, leicht chronisch
2018/05/23
Grund: Zu viel Freude in kürzester Zeit!
Ich habe mich schon lange auf diese zwei Wochen gefreut und mir ausgemalt, wie es werden könnte. Sowohl die Europameisterschaften als auch die Hochzeit verlangten eine akribische Vorbereitung und wer mich kennt weiss, wie gerne ich dies gemacht habe. Aber auch das Träumen kam nicht zu kurz und trotzdem war es ganz anders: Nämlich noch viel, viel schöner als erwartet!
Da kann es schon mal vorkommen, dass die Mundwinkeln sich einfach nicht mehr zurück in die Ausgangsposition bewegen wollen. Wenn der Körper mit Glückshormonen geflutet ist, hat man gar keine andere Wahl als ein fröhliches Dauerlächeln…
Also Heiraten kann ich auf jeden Fall weiterempfehlen. Du fühlst dich bereits morgens um acht beim Coiffeur wie ein Promi, danach wirst du zur Prinzessin, winkst wie ein Royal aus der Kutsche (äh Postauto), dinierst als Grande Dame und schwebst als Fee durch den Abend bevor du als Rockerbraut noch alle übrige Energie auf der Tanzfläche loswerden kannst.
Und am nächsten Morgen wachst du als Frau Jakob auf und nimmst deinen ersten Tag als Ehefrau in Angriff. Das Tageswerk: einen ganzen Nachmittag lang Gschänkli auspacken, nicht schlecht, oder?
Nun aber zum seriösen Business:
Die Europameisterschaften im Tessin wurden für mich zu einer Woche mit vielen Ereignissen und unterschiedlichen Ausgängen.
Der Start mit dem Sprint am Sonntag in Mendrisio gelang mir so lala. Mit mehr als einer Minute Rückstand lief ich auf den 9. Rang. Natürlich ist das nicht schlecht, aber halt auch nicht richtig gut und es ärgerte mich, wieder einmal so «mittelmässig» abgeschlossen zu haben.
Bis am Dienstag zur Mitteldistanz-Qualifikation hatte ich dann aber ein Rezept bereit, wie ich dieser Mittelmässigkeit den Kampf ansagen kann. Und es funktionierte auf Anhieb! In den steilen Carona-Hängen gewann ich meinen Quali-Heat und blickte danach zuversichtlich in Richtung Final.
Und dann war er da, dieser Final-Tag. Beim Einlaufen fühlten sich die Beine ziemlich steif an, die Spannung in den Muskeln aber auch die mentale Anspannung waren hoch. Ich versuchte von Anfang an mein Startkonzept umzusetzen, was aber irgendwie etwas holprig war. Das Gelände in Serpiano verlangte einem wirklich Alles ab, technisch, physisch und vor Allem auch mental, denn in diesen Hängen suchst du lange nach dem Flow, du wirst ihn kaum finden.
So erstaunte es mich nicht sonderlich, dass es auf dem Weg zum 11.Posten irgendwie nicht so richtig aufging, schliesslich war es ja von Anfang an ein Ringen mit der Karte und dem Gelände. Was mich mehr erstaunte, war die Euphorie der Zuschauer im Zieleinlauf und die Flying Swiss Girls, die mir, kaum hinter der Ziellinie, bereits um den Hals fielen. Anscheinend war ich mit Bestzeit ins Ziel gekommen, unglaublich! Bekanntlich währte die Freude dann nur etwa 3 Minuten, nämlich bis mein Badge ausgelesen war und wir merkten, dass ich Posten 10 einfach links liegen gelassen hatte.
Ausser Spesen nichts gewesen…
Die Kaderkolleginnen wechselten vom Mitfeiern zum Mitleiden und ich musste zum alten Sonnenbrillen-Trick greifen, um die Tränen verstecken zu können.
Natürlich, es war bitter, aber was am Schluss übrig blieb, war die Gewissheit, dass ich es drauf habe!
Und mittelmässig war es auf jeden Fall nicht.
Zwei ruhige Tage folgten auf diesen dramatischen Nachmittag und die hatte ich bitternötig!
Hätte man meinen Puls und das Adrenalin-Niveau aufgezeichnet, hätte man sicher ein Ausschlagen am Freitagmorgen beobachten können und das ganz ohne physische Aktivität: die Staffelsitzung.
Genau erklären kann ich es mir selber nicht, aber ich war wirklich so nervös, dass ich kaum mehr atmen konnte und als Vroni uns dann endlich die Staffelaufstellung bekannt gab, war es eine richtige Erlösung. Jedenfalls für ein paar Augenblicke und dann setzte die nächste Nervositätswelle ein. Ich durfte die Schlussstrecke laufen!
Einlaufen wie immer, Schuhe binden, Material abchecken und nochmals den Fokus finden: eigentlich wie bei jedem Staffeltraining. Loslaufen und dann im Wald ein anderes rotes Dress sehen, auch das kenne ich aus den Trainingslagern, nur war es diesmal eine EM.
Die erste Schlaufe lief ich wie auf Schienen, es war gar nicht schwer, doch dann kam die Zuschauerpassage, ich pushte nochmals und hörte, dass wir in Führung liegen. Dann war es um mich geschehen. Ich glaube, die letzten fünf Posten eines OLs fühlten sich noch nie so schwierig an, wie an diesem Tag. Jede Sicherheit und Kraft war weg, die Nervosität regierte aber ich schaffte es zum Glück, mich bis ins Ziel zu retten. Was für ein Gefühl, mit Judith und Ele die Goldmedaille zu feiern!
Und zusammen mit dem zweiten Frauenteam einen Doppelsieg heimzufahren, einfach unglaublich!
Ok, dieser Artikel ist schon lange genug aber die Woche war halt noch nicht zu Ende.
Die Langdistanz im Capriasca war ein Erlebnis für sich: wirklich schönes Gelände, spannende Routen, technisch feine Abschnitte, Blocherstrecken auf Bergstrassen (ja, die Füsse fanden es nicht so cool) und eine kurze aber happige Schlussschlaufe, die auf dem Leader Chair endete.
Das hätte ich wirklich nicht gedacht, dass ich diese verrückte Woche mit einer Bronze-Medaille um den Hals abschliessen werde.
Herzlichen Dank all denen, die diese beiden märchenhaften Wochen erst möglich gemacht haben.
Allen voran Simon, meinem Erstehilfe-Psychologen, Trainingskollegen, Kinoabendplaner und Ehemann.
So und nun ist wieder Training angesagt. Nach einer trainingsmässig ruhigen Woche sind die Batterien wieder geladen und ich bin voller Tatendrang. Was dabei herauskommen wird, sehen wir dann spätestens Anfangs August…
Bilder: R. Steinegger, N. Soland
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